Ironie des
Schicksals

2016 / Höhe: 530 cm, Breite: 810 cm, Länge: 1550 cm, MiG, Cadillac,
Oldsmobile, TV Bildschirme

Mit seiner gewaltigen, multimedialen Installation Ironie des Schicksals (2016) kommentiert der Kölner Künstler Bernd Reiter die drohende Eskalation eines erneuten Kalten Krieges zwischen den Supermächten Russland und den Vereinigten Staaten. Zwei Systeme, zwei Welten, zwei Ideologien prallen zusammen, wobei die ausrangierte, aber nichtsdestoweniger bedrohlich wirkende russische MiG-21 und die beiden rabenschwarzen amerikanischen Oldtimer-Limousinen mit ihren markanten Heckflossen buchstäblich aneinandergeraten sind – in die Jetztzeit katapultiert durch einen regelrechten Schwarm flimmernder Monitore mit Bewegtbildern aus aktuellen Krisengebieten in der ganzen Welt. Ein eindringliches Mahnmal, das nicht nur auf vergangene Missstände hinweist, sondern auch und vor allem in jüngster Zeit zunehmend an Aktualität gewinnt.

Bernd Reiter steht fest in der Tradition avantgardistischer Künstler, die ein Verantwortungsbewusstsein bzw. eine Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft empfinden – im Sinne eines Joseph Beuys, der mit einer seiner programmatischsten Arbeiten aus dem Jahr 1972 nicht nur die Künstlerkollegen, sondern auch seine Mitbürger zur aktiven Teilnahme aufrief: „Die Revolution sind wir“. Reiter integriert Fernsehmonitore in seine brachiale Assemblage aus bedeutungsschweren Readymades, um eine Verbindung zwischen Kunst und Leben herzustellen. Denn für ihn ist die Kunst untrennbar vom Leben, wie auch das Leben untrennbar von der Kunst ist. Doch Reiter gibt sich nicht damit zufrieden, ein Spiegel vor der Gesellschaft zu halten, sondern nutzt seine Kunst, nutzt die Provokation, die Agitation, um die Gesellschaft – seine Gesellschaft – nachhaltig zu verändern.

Auf den zahlreichen Monitoren der mahnmalartigen Installation Reiters sieht man Bilder des Grauens – nicht nachgestellt oder etwa durch digitale Eingriffe übersteigert, sondern aus den täglichen Nachrichten im Fernsehen und Internet einfach heruntergeladen und zu scheinbar endlosen Bildsequenzen zusammengeschnitten. Wie messerscharfes Schrapnell schneiden etliche schwarze Flachbildschirme sich in die Oberflächen des sowjetischen Abfangjägers und der beiden amerikanischen Straßenkreuzer oder liegen als altmodische Kastenfernseher wie ein Trümmerhaufen zusammen mit Schrottteilen aus dem ausrangierten Flugzeug und alten Rettungswesten auf dem Boden. Im Gegensatz zu Anselm Kiefer, der mit seinen bleiernen Flugzeugen auf mythologische und historische Figuren hinweist, geht es Reiter einzig und allein um die Jetztzeit, um Gefahren, denen nicht nur vergangene und aktuelle Kriegshelden, sondern auch zahllose unschuldige Vertriebene und Flüchtlinge ausgeliefert sind – Tag für Tag, ebenfalls wie eine scheinbar endlose Schleife.

Die amerikanischen Luxusautos und das russische Kampfflugzeug weisen nicht nur auf den längst beigelegt geglaubten Kalten Krieg zwischen den beiden Supermächten, zwischen Ost und West, zwischen Kommunismus und Demokratie, sondern auch auf reale Stellvertreterkriege wie der Konflikt in Syrien, der immer noch als Bürgerkrieg getarnt wird und täglich Abertausende zivile Opfer fordert. Durch die sogenannte Flüchtlingskrise werden die Kriege und Konflikte in Syrien, Afghanistan und dem Irak, aber auch die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen und Hungertoten im Nahen Osten und Afrika buchstäblich vor die eigene Haustür getragen. Und vor der eigenen Haustür muss man auch bekanntlich kehren – genau dies tut Bernd Reiter mit seiner Arbeit als Künstler. Denn die titelgebende „Ironie des Schicksals“ bezieht sich nicht nur auf die anderen, sondern auch auf uns selbst – gerade in Europa, gerade in Deutschland, das nach dem Zweiten Weltkrieg seine eigene Massenmigration und Flüchtlingskrise erlebt hatte und heute als eine der wichtigsten politischen und wirtschaftlichen Mächte der Welt dasteht. Die Ironie des Schicksals heißt also auch, dass man sich an die eigene Nase fassen sollte. Darauf beruht auch Bernd Reiters Verantwortungsbewusstsein, aber auch seine Klage.

Wie bei Beuys ist die Installation von Bernd Reiter also nicht als bloße Provokation, sondern vielmehr als „Aufruf zur Alternative“ zu begreifen. Ein emphatisches Statement Reiters lautet: „Ich verstehe meine Werke als Einsprüche, Proteste, Mahnungen und vor allen Dingen als Fragezeichen.“ Denn für ihn ist die Kunst keine hehre Ware oder kulturelle Trophäe, sondern ein essenzielles Mittel, um die Gesellschaft zu gestalten, um seine Mitmenschen wachzurütteln, sie zum Denken anzuregen und zu Taten zu bewegen.

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© Bernd Reiter, Zollstockgürtel 67, 50969 Köln