art KARLSRUHE 21. - 24.02.2019

Internationale Messe für klassische Moderne und Gegenwartskunst

21.02. - 24.02.2019 
Messe Karlsruhe, Halle 2, Skulpturenplatz A17
 

(schein)heilig
Bernd Reiter, 2018 – 7 Kirchenbänke und 40 TV-Bildschirme
Länge: 710 cm, Breite: 700 cm, Höhe: 570 cm,

Aufgerichtete, im Bogensegment verlaufende Holzbänke, an der Spitze ineinander verkeilt, bäumen sich gen Himmel und umreißen so einen kuppelartigen Raum mit einer imposanten Höhe von annähernd sechs Metern. Die Installation wirkt wie der Skelettbau einer Kuppel oder wie deren Querschnitt. Weitere Bänke sind davor platziert und können auch als solche genutzt werden. Diese Bänke laden, ähnlich wie in einem Kircheninnenraum, nicht nur zum Innehalten, zum Bewusstmachen und zur Veranschaulichung ein, sondern auch und vor allem zur Teilnahme - im Sinne sowohl einer Empathie als auch einer tatsächlichen Partizipation. Das angedeutete Kuppeldach im Kunstwerk (schein)heilig ist - wie schon in anderen Arbeiten im Œuvre Bernd Reiters - mit Monitoren versehen. Diese präsentieren neben Szenen, Berichten und Bildern, für sich selbst sprechende Worte aus der Kirchengeschichte. Wie auch bei der im letzten Jahr auf der art KARLSRUHE gezeigten Großplastik „Ironie des Schicksals“ geht es dem Künstler mit dieser Arbeit um ein politisches Statement, insbesondere in Bezug auf die Missbrauchsskandale der letzten Jahrzehnte.

Es sind keine normalen Holzbänke: Die hier vom Künstler aufgebauten Bänke - als sakrales Gewölbe, als Dach eines Kirchturms - sind Kirchenbänke aus einer profanierten Kirche. Die Kirche als ein Ort der Entfremdung, der Vertuschung und der Erniedrigung - eigentlich doch ein Raum der Gemeinschaft und der Fürsorge, des Miteinanders und der Obhut; eine Schutzzone. Im Spiegel der Gegenwart ist sie aber auch ein Ort des Missbrauchs, der Skandale, ein (H-)Ort für eine unglaubwürdige Gemeinschaft.

Der Künstler Bernd Reiter konfrontiert in seiner skulpturalen Installation für jedermann zugänglich die zeitkritische Auseinandersetzung mit Moral, Ethik und Anstand der Machtinstitution Kirche: Die Kirche ist eine Institution mit eigenem Recht – dem Kirchenrecht. Doch muss man einem Bündnis der Vertuschung angehören, um zu glauben? Nehmen die Vergangenheit und auch die Gegenwart nicht den Glauben an die (Amts-)Kirche? Hat die Kirche das Recht, eigenes (auch moralisches) Recht für sich zu beanspruchen? Sind nicht die Auseinandersetzung, die vollumfängliche Betrachtung, die Wahrheit der richtige Weg, den dogmatischen Grundsätzen entgegenzutreten? Ist Wahrheit zu brutal, zu schwierig, zu erschütternd?

Die Kirche ist doch eigentlich ein Ort der Besinnung, der Gemeinschaft, des Glaubens, das Kunstwerk ein Ort der Besinnung, des Rückblicks, der Reflexion. Kirche zu erfahren, kritisch zu hinterfragen, Fakten zu bewerten, Gefühle auszudrücken, Schuld und Sühne zu spüren unabhängig von Glauben, Religion, Gottheit.

Mit der Skulptur (schein)heilig setzt Bernd Reiter ein Zeichen des Mitfühlens, des Gedenkens an die vielen Opfer, die Willkür und Macht hilflos ausgesetzt waren. Verbrechen gegen die Menschlichkeit, gegen die ein Widerstand, ein Aufbegehren eigentlich unmöglich erschien. Bernd Reiter versteht sich als Avantgardekünstler, als Kunstschaffender, der sich furchtlos „an der Front“ positioniert, im Dienst der Gesellschaft agiert und vor allem agitiert.

 

© Bernd Reiter, Zollstockgürtel 67, 50969 Köln