MACHT

20. August bis 16. September 2020

BERND REITER

 

 

 

ÜBER DIE AUSSTELLUNG

Installationen mit moralischem Anspruch und aktuellem Bezug

Unter dem Ausstellungstitel Macht zeigt das Kunstforum Wien vom 20. August bis 13. September Denkanstöße liefernde, berührende und tiefgründige Arbeiten von Bernd Reiter zum Thema Macht. Reiter, Installationskünstler, Maler und Bildhauer, 1948 in Köln geboren, wo er bis heute lebt und arbeitet, ist neben seiner Kunst seit über 35 Jahren ein erfolgreicher Unternehmer im Immobilienbereich, hier definieren sich seine Projekte durch eine ungewöhnliche Architektursprache. Eine Reihe von Großprojekten lassen ihn in großen Dimensionen denken, das gilt auch für seine Kunst. Länger als in seinem Unternehmen, ist er bereits als Künstler, Kurator und Kunstförderer tätig. Sowohl für den Unternehmer, als auch für den Künstler Bernd Reiter stehen Kreativität und Leidenschaft an erster Stelle. Thematisch beschäftigt er sich mit gesellschaftlich relevanten und gleichzeitig brisanten Sachverhalten. Zunächst einmal fallen die Installationen durch ihre Abmessungen auf, der Betrachter fühlt sich sofort von ihrer starken visuellen und inhaltlichen Präsenz angesprochen. „Meine Kunst ist intensiv. Sie ist Sein. Ich kann meine Gedanken aufgrund meines Talents »verstofflichen«, in Materialien umsetzen. Und damit ein Ergebnis erzielen, das etwas ausdrückt, ein Gefühl transzendiert, eine Vision erlebbar macht.” Reiter hat ein Gespür für Themen, er spricht die Menschen auf emotionaler und gleichzeitig intellektueller Ebene an. Ein zentraler Punkt seines Œuvres sind große, multimediale Installationen, die politische und gesellschaftliche Missstände aufgreifen, thematisieren und anprangern. In dieser Ausstellung werden vier Installationen präsentiert, die unterschiedlichste Aspekte zum Thema Macht beinhalten.

In Wien wird in zwei Räumen (Raum 6 und 7) partiell die Installation Ironie des Schicksals aus dem Jahr 2016 gezeigt. Sie wurde bereits in ihrem Entstehungsjahr auf der Art Fair Köln ausgestellt und 2018 auf der Art Karlsruhe. In der Wiener Ausstellung werden als pars pro toto signifikante und markante Inhalte aus der Installation extrahiert, da sie hier aufgrund ihrer Größe nur in einer stark veränderten Form als Ganzes hätte gezeigt werden können. Auf einem großen Bildschirm werden dem Besucher in Wien als Dokumentation Filmsequenzen zur Entwicklung und zum Entstehungsprozess der Arbeit, deren Transport und Aufbau, sowie Gesamtansichten gezeigt, sie dienen zum besseren Verständnis und lassen die Eindringlichkeit und die Dimensionen der aufgebauten Installation erkennen. Die ausschnitthafte Auswahl in der Ausstellung ist jedoch nachvollziehbar und lässt die Intention des Künstlers dennoch klar erkennen. Überarbeitete Fotografien der raumgreifenden Installation geben einen Eindruck der komplett 5,30 x 8,10 x 15,50 m messenden Arbeit. Hier behandelt Bernd Reiter die permanent drohende Eskalation eines erneuten Kalten Krieges zwischen den Supermächten Russland und den USA. Bei dieser Installation geht es um zwei politische Systeme, um zwei Welten, einer Systemkonfrontation von Kapitalismus und Kommunismus, zwei grundverschiedenen Ideologien, die aufeinandertreffen. Genau das zeigt die Installation bildhaft: hier kollidieren ein ausrangierter und bedrohlich wirkender sowjetischer Abfangjäger und zwei schwarze amerikanische Oldtimer-Limousinen mit ihren markanten Heckflossen. Flimmernde Monitore, auf denen im loop bewegte Bilder aus den aktuellen Krisengebieten der ganzen Welt laufen, geben der Arbeit ihre Aktualität und schlagen eine Brücke in die Gegenwart. Bei der skulpturalen Installation handelt es sich um ein eindringliches Mahnmal mit Aktualitätsbezug. Auf den zahlreichen Monitoren laufen unbearbeitete, ungeschönte, grausame Bilder, die den Krieg mit ihren Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung dokumentieren, aus Nachrichtensendungen im Fernsehen, sowie aus dem Internet stammend. Schwarze Flachbildschirme durchschneiden die Oberflächen der Mikojan-Gurewitsch MiG-21 und der beiden Straßenkreuzer. Altmodische Röhrenfernseher liegen zusammen mit Schrottteilen aus dem ausrangierten Flugzeug und alten Rettungswesten auf dem Boden. Hier prallen zwei Welten aufeinander, die amerikanischen Luxusautos und das russische Kampfflugzeug mit dem fünfzackigen roten Stern auf dem Höhenruder verweisen nicht nur auf den längst beigelegt geglaubten Kalten Krieg zwischen den beiden Supermächten, zwischen Ost und West, zwischen Kommunismus und Demokratie, sondern auch auf reale und aktuelle Stellvertreterkriege. „Als Stellvertreterkrieg wird“ laut Wikipedia „ein Krieg bezeichnet, in dem sich zwei oder mehr in Konflikt befindliche Grossmächte nicht direkt militärisch auseinandersetzen, sondern diese militärische Auseinandersetzung in einem oder mehreren Drittstaaten austragen. Diese Drittstaaten handeln also quasi als Stellvertreter der oft `nur´ im Hintergrund beteiligten Großmächte.“ In diesem Fall geht es um den Konflikt in Syrien, der täglich zigtausende zivile Opfer fordert. Thematisiert werden die Kriege und Konflikte in Syrien, Afghanistan und dem Irak, aber auch zahlreiche Menschenrechtsverletzungen und die Hungertoten im Nahen Osten und Afrika, sowie die daraus resultierende Flüchtlingskrise. Dabei bezieht sich der Titel der Installation Ironie des Schicksals auch auf uns in Europa, und gerade auf Deutschland, das nach dem Zweiten Weltkrieg seine eigene Massenmigration und Flüchtlingskrise erlebte. Daher sieht Reiter uns in einer politischen und wirtschaftlichen Verantwortung.

Das Thema der Installation verdeutlicht das Engagement der Supermächte Amerika und Russland im nunmehr seit neun Jahren schwelenden Syrienkonflikt, der permanent drohende Kalte Krieg und infolgedessen die unmittelbare Auswirkung auf die syrische Bevölkerung, die aus dem eigenen Land fliehen muss. Die Russen werden symbolisiert durch eine MiG-21 Maschine, die Amerikaner durch zwei schwarze Straßenkreuzer der Marke Cadillac. Ein Wagen steht am Boden, vom Rumpf des Flugzeugs zerquetscht, ein zweiter Cadillac ist aufgestellt und in der Höhe der Türen aufgeschlitzt, dies erinnert an gierige Mäuler. Das Bild, das sich dem Betrachter aufdrängt und einprägt, ist, dass die Amerikaner die Russen dominieren wollen, es steht für anhaltende Aktualität und eine große politische Brisanz. Im zentralen Ausstellungsraum, der Säulenhalle, zeigt Bernd Reiter eine originale Rettungs-Insel, hier laufen auf 20 alten Röhrenfernsehern bewegende Videos, die aus Syrien fliehende Menschen zeigen, die Bergung der Flüchtlinge, dramatische Rettungsaktionen der Seenotretter, aber auch ertrunkene und ertrinkende Menschen, Geschwächte und Traumatisierte, weiterhin menschenunwürdige Zustände in den Auffanglagern: die Flüchtlinge und die Migration als Konsequenz politischer Machtspiele, es geht um die gefährliche Flucht über das Meer, menschliche Tragödien und Einzelschicksale, aber auch um das Schicksal eines ganzen Landes. Bewegte und bewegende Bilder, die den Betrachter nicht unberührt lassen können und die die Flüchtlingswelle symbolisch bis vor unsere Haustüre katapultiert. Auf den TV-Bildschirmen an den Wänden laufen authentische Filme, die Bilderflut beleuchtet eindringlich das Kriegsgeschehen in Syrien, den Völkermord, ungeschönt und berührend, außerdem sieht man Präsident Putin, zum Zeichen der Machtdemonstration und Selbstinszenierung, im Cockpit eines Militärflugzeugs sitzend. Ein weiterer Film dokumentiert die Macht des Secret Service und seiner Secret Agents in Verbindung mit den amerikanischen Präsidenten, von Nixon, über Bush, Clinton bis hin zu Obama und Trump. Die Filme laufen zeitversetzt in loops, hier erstmals auch mit Ton, was die Eindringlichkeit ihrer Aussage noch verstärkt. Obwohl die Installation in Wien nur in Teilen aufgebaut ist, lässt sich die Brisanz und Aussagekraft von Ironie des Schicksals nachvollziehen. Der Besucher wird, durch ihren dokumentarischen Charakter schockiert, gleichsam wachgerüttelt, denn die Präsenz und Manipulation der Super-Mächte im Syrienkrieg wird ungeschönt dokumentarisch und drastisch aufgezeigt. Ein erhöhter Schiedsrichterstuhl, wie wir ihn von Tennis Matches her kennen, läd den Besucher ein, die Installation aus der neutralen Position zu betrachten und sich einen Überblick zu verschaffen.
In der Mitte von Raum 5 wird die Arbeit Zeit versetzt aus dem Jahr 2018 gezeigt, die im gleichen Jahr zusammen mit Werken von Roy Lichtenstein, Keith Haring, Damien Hirst, Robert Rauschenberg und Banksy in der Ausstellung WINGS im Hotel Mond in Berlin ausgestellt war. Inhaltlich an Ironie des Schicksals anknüpfend, besteht die 2,10 x 4,60 x 0,82 m messende Installation aus der markanten Heckflosse einer russischen MiG-21, sowie weiteren Bauteilen der gleichen Maschine. Diese Fragmente erwarb Bernd Reiter von einem Privatmann und befreite die Teile zunächst von Korrosion, Schmutz und Erde. In der Installation mutieren die Teile des Kampfflugzeugs zu ästhetischen Exponaten, werden prima vista zu Objekten der Minimal Art, es bleibt jedoch ihre militärische Konnotation bestehen, in diesem Fall fungieren sie auch weiterhin als ein Mahnmal gegen Vernichtung und Tod, eine Ambivalenz, die neben der Ästhetik nicht die eigentliche Zweckbestimmung aus den Augen verliert. Der Heckflügel als eine stille Anklage, er repräsentiert einerseits die Kampfmaschine, steht evident für die ehemals reale Bedrohung durch das Kampfflugzeug, als es noch Kampfeinsätze flog und Leid und Elend über die Bevölkerung brachte. In der Ausstellung wirken der Heckflügel und die Einzelteile an der Wand, gesäubert und von der Maschine isoliert, harmlos und unschuldig, ihrer eigentlichen Funktion beraubt, zu einem Kunstwerk mutiert, dass dennoch an die Zeit des Kalten Krieges erinnert. Die Installation wird zum Mahnmahl, transferiert in die heutige Zeit, auf aktuelle Kriesenherde verweisend und mit dem Rezipienten interagierend. Zeit versetzt kann aber auch als eine `Entmachtung´ des Kampfflugzeugs interpretiert werden, als ein hoffnugsvoller Ansatz zu friedlicher Konfliktbewältigung. Zeit versetzt ergänzt die Installation Ironie des Schicksals, es geht um die Macht der Supermächte und den Kalten Krieg, vermittelt aber auch die Hoffnung, dass dieser überwunden werden kann. So ist der Betrachter in die Thematik direkt involviert und ein Teil des Ganzen.

Im gleichen Raum wird eine weitere Arbeit von Bernd Reiter aus dem Jahr 2015 mit dem Titel NSA – SAVE OR NOT SAVE präsentiert. Auch hier geht es um Macht, nämlich die Macht der Algorithmen, um die bedrohliche Macht der Künstlichen Intelligenz, die omnipräsenten Themen Datenmissbrauch und Datensicherheit:. Eine sechsteilige Assemblage-Serie verdeutlicht die aktuelle Diskussion über Künstliche Intelligenz und das darin enthaltene Potenzial zum Datenmissbrauch. Automatisierte Überwachungsprogramme und die zunehmende Vernetzung von Smartphones, Autos, Haushaltsgeräten, Heimcomputern etc. spielen unsere Daten Technologieunternehmen, wie Apple oder Amazon, und den Geheimdiensten, wie beispielsweise der NSA, zu. Mit unserer vermeintlichen Bequemlichkeit und Freiheit begeben wir uns in ein Abhängigkeitsverhältnis, dessen Tragweite wir kaum überblicken können, zahlreiche Datenlecks widerlegen die scheinbare Sicherheit. Die Arbeit NSA – SAVE OR NOT SAVE basiert auf einem Zeitungsartikel mit dem Titel „Die Menschenversteher“ und dem Untertitel „Wissenschaftler wollen Maschinen Gefühle beibringen. Schon jetzt können Rechner die Stimmungen des Menschen an ihrem Gesicht oder ihrer Haut ablesen, ein Computer in Kalifornien therapiert sogar traumatisierte Soldaten. Der Computer soll unser Freund werden“ aus der Welt am Sonntag vom 21. Juni 2015, S. 15ff. In diesem Artikel beschäftigen sich die Autoren mit der beängstigenden Zukunftsvision, bei der Computerentwickler den Computern Gefühle beibringen, dem sogenannten `affective Computering´, einem Wettrennen um die Decodierung der Gefühle. Die zentrale Frage des Artikels lautet: „Ist das großartig oder eine Horrorvision?“ Für Bernd Reiter wohl eher Letzters. Fünf großformatige Illustrationen, die ein Kind, einen männlichen Jugendlichen, eine weibliche Jugendliche, einen Mann, sowie eine Frau zeigen, bebildern den Artikel. Durch grafische Elemente, in ihrer Form an Zielscheiben erinnernde Kreise, Liniengitter und aus der Kybernetik stammenden Symbolen, wird hier angedeutet, dass die Personen bereits manipuliert werden. Aufkaschiert auf Holzplatten, transformiert Bernd Reiter die in Massenauflage erschienenen Zeitungsseiten zu Unikaten, dabei wurde die Zeitungsseite mit der Abbildung des erwachsenen Mannes zweifach verwendet. Durch an gestische Pinselstriche erinnernde aufgespachtelte blaue Acrylfarbe, überzogen mit transparentem Lack, steigert Reiter deren visuelle Präsenz. Auf die übermalten Zeitungsseiten sind ausgediente Leiterplatten, kleine Lüfter und Kabel montiert, Gehirn und Herz der Bildprotagonisten sind verkabelt und unterliegen bereits einer totalen Kontrolle. Präsentiert in Objektkästen aus Plexiglas, wirken die Arbeiten beklemmend, sie erinnern gleichermaßen an unheilvolle Science-Fiction-Visionen, als auch an Versuchs- und Laborsituationen. Bei vier der Objektkästen sind an den Leiterplatten alte, mit Gebrauchsspuren versehene und abgeschlossene Vorhängeschlösser angebracht, sie stehen in Diskrepanz zu den technisch anmutenden Bildelementen und wirken wie aus der Zeit gefallen. Bernd Reiter selbst sagt dazu: „Natürlich übe ich mit dieser Arbeit Zeitkritik, denn sie soll zeigen, dass man sich früher mit einem mechanischen Schloss schon sicher gefühlt hat und es heute eigentlich keine Sicherheit mehr gibt. Keine Privatsphäre. Nichts, wo man die Welt eigentlich draußen lassen kann.“ Die Assemblagen werden begleitet von einem Film über die NSA, deren weltweiter Überwachung, Abhörung, Entzifferung und Auswertung von Mobiltelefonen und elektronischer Kommunikation. Dieser Film zeigt aber auch die Schwächung und die `Entmachtung´ der NSA  durch die Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden. Er hatte als ehemaliger NSA Mitarbeiter Zugang zu vertraulichen Dokumenten und gewährte 2013 einen Einblick in das Ausmaß der weltweiten Überwachungs- und Spionageaktivitäten. Durch seine Enthüllungen thematisierte Snowden die Aufgabe grundlegender Freiheiten, wie der Zerstörung von Privatsphäre und hat damit eine Sensibilisierung für das Thema und ein gewisses Umdenken bewirkt, nämlich dass das Thema Datensicherheit heute äußerst ernst genommen wird, die Datenmacht und die damit einhergehende Überwachung an ihre Grenzen stößt. Die moralische Botschaft, die Bernd Reiter mit dieser Arbeit vermitteln möchte, ist, nicht der Macht der Algorithmen zu trauen, sich nicht ausspionieren und manipulieren zu lassen, die Datenhoheit nicht aus der Hand zu geben um Daten nicht kommerziell verwertbar zu machen.

Weiterhin wird hier in Raum 3 und 4 die Installation (schein)heilig gezeigt. Diese Installation, bereits 2019 auf der Art Karlsruhe, sowie im gleichen Jahr in den Räumen der Biblioteca Nazionale Marciana in Venedig gezeigt, sorgte an beiden Orten für großes Aufsehen. Die aus insgesamt sieben Kirchenbänken und 40 TV-Bildschirmen bestehende Installation aus dem Jahr 2018 zeigt die zahlreichen Fälle sexuellen Missbrauchs innerhalb der Kirche auf. Die raumgreifende Installation, mit einer Länge von knapp 7 Metern und einer Höhe von rund 6 Metern, dominiert den Raum. Die für die Installation charakteristischen Elemente der halbrunden Kirchenbänke stammen aus einem 2006 profanierten Kirchenbau aus dem Jahr 1956, sie weisen eine 60-jährige Geschichte auf. Drei dieser Bänke sind vertikal aufgestellt, sie symbolisieren einen Sakralbau. Ihre Anordnung kann auch als geöffneter Mund gedeutet werden, der die Leidensgeschichte der Opfer erzählt. Bernd Reiter sieht in ihnen „den Schrei der Missbrauchten.“ Vier weitere Bänke laden ein, sich hinzusetzen, die Installation zu betrachten, den Inhalt auf sich wirken zu lassen und zu reflektieren. Statt dem Gottesdienst zu folgen, schaut der Betrachter auf die unter dem angedeuteten Kuppeldach integrierten Bildschirme. Auf den Monitoren sind Bibelzitate, sowie Szenen, Berichte und Bilder aus der neueren Kirchengeschichte zu sehen. Dabei kann Bernd Reiter auf Entwicklungen des Themas insoweit eingehen, als er Änderungen und Anpassungen vornimmt, die Installation stets aktuell bleibt, es handelt sich um ein Work in Progress. Die aus einer aufgelassenen Kirche stammenden Bänke sind ein zentrales Element der Installation, Readymade-Objekte, in diesem Fall kann der Besucher sich sogar auf die Bänke setzen. Dadurch baut Bernd Reiter Distanz ab, der Betrachter kann die Installation rezipieren und wird gleichzeitig Bestandteil der Installation, im Sinn einer immersiven, allgemeingültigen Kunst. Die auf den Monitoren eingeblendeten Videobilder visualisieren die Aktualität und die thematische Brisanz für unsere Gesellschaft. Begriffe wie „Missbrauch“, „Moral“, „Respekt“, „Verantwortung“, „Vermögen“, „Beichtgelegenheit“, „Das Kanonische Recht“,„Wendepunkt“, oder teilweise abgewandelte Zitate aus dem Vaterunser „Und führe uns nicht in Versuchung“ oder „Erlöse uns von den Bösen“, kombiniert mit Bildern von Päpsten und Kardinälen, die das Thema negiert, verschwiegen, aber auch ansatzweise versucht haben, Aufklärungsarbeit zu leisten. Beispielsweise Papst Franziskus, der anlässlich eines Gipfeltreffens im Vatikan zum Thema Missbrauch zum entschlossenen Handeln aufrief, oder Kardinal Marx, der als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz eine Missbrauchsstudie in Auftrag gab. Die Installation thematisiert die Macht der Institution Kirche, legitimiert durch ein eigenes Recht, das Kirchenrecht, sowie deren Machtausübung gegen die Schwächsten und Schutzbefohlenen. Reiter bezieht hier zu den Vertuschungen der Kindesmissbrauchsskandale in der Kirche klar Stellung, er prangert die fehlende bis schleppende Aufklärung dieser Missstände in aller Schärfe an, geht aber auch auf die Aufarbeitung der Missbrauchsskandale ein, erkennt die Bemühungen der Kirche, sich dem Thema zu stellen, aufzuklären und Lösungen zu suchen. Dabei bedient er sich des Stilmittels der Überhöhung visueller und sprachlicher Elemente, die eine emotional aufgeladene, hochexplosive Wahrnehmungssituation schaffen. Die doppelbödige Moral der Institution Kirche wird dem Betrachter hier eindrucksvoll vor Augen geführt, die Kirche, selbst ernannte moralische Instanz, als fehlbar entlarvt. Die Installation (schein)heilig steht für einen Wendepunkt in der Kirche, es sind sowohl die Täter, als auch die Auflärer zu sehen. Die Aufklärer werden zu Hoffnungsträgern für die Opfer der Missbrauchsskandale. Ihnen wurde durch die Macht der Institution Kirche lange gedeckten Täter unendlich viel Leid zugefügt. Ob die Aufklärungsarbeit der Kirche in diesem Punkt ausreichend und als abgeschlossen gewertet werden kann, bleibt offen. Bernd Reiter zeigt sich hier als gesellschaftskritischer Künstler, der Missstände anprangert. Seine als Eyecatcher konzipierten Installationen erregen allein schon durch ihre Größe, aber auch durch die Auswahl der Materialien und integrierten Objekte, große Aufmerksamkeit. Gleichsam fordern sie den Betrachter auf, sich mit den thematischen Inhalten zu befassen, wie in diesem Fall der Scheinmoral und Willkür der Mächtigen. Die Installation zeigt die Vergehen auf, allerdings nicht neutral dokumentarisch, Reiter bezieht klar Position. Seine Arbeiten sind gesellschaftspolitisch relevant und maßgeblich, gesellschaftliche Phänomene und Missstände, auch im Zusammenhang mit einer Aufarbeitung in den Medien, speziell im Fernsehen, werden evaluiert. Die Installation wird noch ergänzt durch zwei Einzelbänke, sowie gerahmte Grafiken aus der Portfolio Serie.

Erstmals laufen in der Wiener Ausstellung die Filme der Installationen mit Ton. Damit tritt die Intensität der Botschaften, aber auch die Intention des Künstlers nochmals stärker zu Tage. Die Arbeiten von Bernd Reiter sind von einer beklemmenden Dringlichkeit, die uns zwingt, hinzuschauen, geradezu verbietet, wegzuschauen. Gesellschaftliche Missstände werden uns hier direkt vor Augen geführt, aber auch die Mechanismen der Aufarbeitung im Fernsehen kritisch reflektiert. Bernd Reiter bedient sich des Ready Made, dem Alltag entliehener Gegenstände, wie beispielsweise Kirchenbänke in der Installation (schein)heilig oder bei Ironie des Schicksals die Rettungsinsel, ein Kampfflugzeug oder die Cadillacs, und er kombiniert diese mit eindringlichen Bildern. Dadurch erhalten seine Installationen eine Brisanz und Unausweichlichkeit, die den Betrachter nachhaltig berühren. Reiter baut hierdurch die Distanz zwischen seinem Kunstwerk und dem Betrachter ab, er involviert ihn geradezu in das Geschehen, bezieht ihn in die Arbeit mit ein. Dieses Eintauchen des Rezipienten, man spricht auch von immersiver Kunst, bewirkt, dass sich der entstandene Eindruck nicht verflüchtigt, sondern nachhaltig bestehen bleibt. Die Ausstellung Macht legt die traditionellen Machtstrukturen von Institutionen ebenso offen, wie die von unterschiedlichen Staaten und Systemen. Macht definiert sich als die Fähigkeit, eine oder mehrere Personen zu einem bestimmten Denken oder Verhalten zu bringen. Der Begriff Macht steht in politisch-soziologischem Kontext für ein Abhängigkeits- oder Überlegenheitsverhältnis. Dabei ist der Machthaber in der Lage, ohne Zustimmung, gegen den Willen, oder trotz Widerstandes anderer, eigene Ziele durchzusetzen und zu verwirklichen. Macht kann sowohl von Personen, Gruppen, Institutionen oder Staaten ausgeübt werden. Grundlagen für die Machtausübung können Macht durch Legitimation, Macht durch Identifikation, Macht durch Sachkenntnis, sowie Macht durch Information, sein. Dabei können einzelne Aspekte auch interagieren. Machtverhältnisse sind zweiseitige (Austausch-)Verhältnisse zwischen Akteur und Rezipient. Dabei ist Macht ein generelles Gesellschaftsphänomen. Einem Machtmissbrauch kann nur durch politische, soziale, ethische und erzieherische Bildung entgegengewirkt werden. Verschiedene Instrumente können Machtmissbrauch verhindern bzw. eindämmen, so in der Politik beispielsweise Verträge zwischen Staaten, die Gewaltenteilung, aber auch die Öffentlichkeit, die Information und Transparenz einfordert. Indem dem Besucher der Ausstellung und dem Betrachter der Installationen diese Machtverhältnisse drastisch vor Augen geführt werden, werden ihm gleichsam die Augen geöffnet, er wird so zu kritischer Rezeption angehalten. Bernd Reiter zeigt auf, wie z. B. im Fall der Kirche Jahrhunderte alte Strukturen halfen, Misstände zu vertuschen und zu negieren. Ein offener Umgang mit diesen Missständen und Problemen war nicht vorgesehen. Die Kirche selbst reagierte reichlich spät und erst auf Druck der Medien und der Öffentlichkeit, die sich auf das Thema focussierte, auf die Kindesmissbrauchsskandale. Somit hat auch die öffentliche Meinung die Macht, Diskussionen anzustoßen, alte Machtstrukturen aufzubrechen, zu `entmachten´, Reaktionen einzufordern und Reformen voranzubringen. Ein weiteres wichtiges Thema, dass Bernd Reiter in der Ausstellung anstößt, ist die aktuelle und polarisierende Diskussion über die Künstliche Intelligenz, die Macht der Algorithmen und die Sicherheit von Daten. Reiter zeigt, dass sich Edward Snowden, bis heute verfolgt, mit dem wichtigsten Geheimdienst der Welt, der NSA, angelegt, dabei aber das äußerst wichtige Thema Datensicherheit angestoßen hat, daraus resultierend auch den Schutz von Daten, nicht nur von Staaten, sondern auch von persönlichen Daten. Eine Diskussion, die anhält und weiter Aktualität besitzt. Datenschutz wird zu einem Grundrecht, die Datenhohheit bleibt ein zentraler Aspekt. Auch prangert Bernd Reiter in seinen Arbeiten politische Machtverhältnisse an, die in Syrien agierenden Supermächte USA und Russland, deren Interventionen das Elend der Zivilbevölerung und die daraus resultierende Landflucht von geschätzt 13 Millionen Menschen mit zu verantworten haben. Bernd Reiter hält der Gesellschaft einen Spiegel vor, er provoziert und möchte den Betrachter wachrütteln Stellung zu beziehen um institutionelle und politische Machtverhältnisse zu hinterfragen mit der Intention, die Allgemeinheit zu informieren, vielleicht sogar Sachverhalte zu verändern und Missstände zu beseitigen. Seine Arbeiten haben stets aktuelle Bezüge, dabei fungieren sie nicht nur als Provokation, sondern sind ein emphatisches Statement, möchten sensibilisieren und mahnen, aber auch Fragen aufwerfen, dem Betrachter Denkanstöße liefern und zum Handeln anregen. Die Ausstellung verdeutlicht die Intention des Künstlers, Bernd Reiter erweist sich als ein politischer Künstler, seine Arbeiten sind gleichermaßen konsum-, gesellschafts- und systemkritisch, sowie stets moralisch wertend. Er möchte uns die Augen öffnen, möchte erreichen, dass wir Fragen stellen, nachdenken, diskutieren, handeln und so mithelfen, aktuelle Missstände zu erkennen und uns engagieren, mit dem Ziel, sie zu beheben.

Christiane Wolf Di Cecca

© Bernd Reiter, Zollstockgürtel 67, 50969 Köln